Hintergrundmaterial zu Mythos

MacLoughlin und d’Albret am Río Shihuarai

Atheismus und Moral
Atheist zu sein, sagt nichts aus über Moral oder Motive. Atheisten gehen davon aus, dass der Glaube von Illusionen lebt. Atheismus hat nichts damit zu tun, ob jemand versucht, Barmherzigkeit und Nächstenliebe zu leben. Das kann und tut der Atheist genauso wie der Gläubige - nur ohne die Motivation, die aus dem Glauben stammt.
Die Existenz des ‘Guten’ hängt nicht davon ab, dass ein unendliches und vollkommenes Bewusstsein das Gute denkt, und es so apriori existieren kann, wie Satre es 1946 in seinem Vortrag „Ist der Existentialismus ein Humanismus?" gesagt hatte.
Wir wissen heute, wo die Aprioris von Kant und anderen Philosophen zu suchen sind, die die Quelle des Guten darstellen. Liebe, gegenseitige Unterstützung, selbstlose Hilfe, vielleicht sogar ein gewisses Begreifen vom Leid anderer - also Gutes - findet man auch im Tierreich. Zum Beispiel bei Affen. Und dass Affen sich ein unendliches und vollkommenes Bewusstsein denken, davon gehen wir nicht aus.

Ein Naturgesetz, demzufolge der Mensch Menschen oder die Menschheit zu lieben hat, gibt es nicht. Aber dass wir uns gegenseitig helfen, dass wir sozial sind, hat nichts zu tun mit Vorschriften aus dem Jenseits, sondern mit menschlichen Verhaltensregeln, die in mehr oder weniger ähnlicher Form auch in nicht christlich orientierten Gesellschaften zu beobachten sind, und deren Vorformen man bei anderen Primaten - etwa bei Schimpansen und Zwergschimpansen - findet. Soziales Verhalten hat sich entwickelt im Rahmen der Evolution.

Die originär und exklusiv christlichen Gebote - abgesehen von der nicht praktikablen Feindesliebe und dem Andere-Wange-Hinhalten - und auch die originär islamischen oder jüdischen Gebote beziehen sich darauf, dass man Gott oder Allah anbeten muss. Das hat nicht unbedingt etwas mit sozialem Verhalten zu tun.

Gerade die wichtigste, vernünftigste Forderung, die Christen für christlich halten, ist die Goldene Regel, die angeblich Jesus aufgestellt hat. Allerdings stammt sie tatsächlich von einem Rabbi, der zur Zeit der Geburt Jesu noch gelebt hat: Rabbi Hillel. Dieser sagte „Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht. Das ist die ganze Tora, alles andere ist Auslegung.“ (Nach der Theologischen Realenzyklopädie 13, 1984)

Die Formulierung, die Jesus wählte, war die positive Form: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ Ganz ähnliche Formulierungen finden sich im Hinduismus, im Buddhismus, Taoismus, Zoroastrianismus und bei Konfuzius.
Woher kommt nun die Motivation eines Menschen, etwa ins Wasser zu springen, um einen anderen Menschen zu retten? Ist das Christenpflicht? Das tun auch Nicht-Christen. Und es gibt kein christliches Gebot: Du sollst anderer Menschen Leben retten. Selbst die Frage, ob es moralisch geboten ist, zu springen, ist nicht einfach zu beantworten und von Fall zu Fall verschieden. Wie gut ist der potenzielle Retter als Schwimmer? Wie stark ist die Strömung? Begibt er sich selbst in Lebensgefahr und riskiert damit die Versorgung einer ganzen Familie?
Was haben wir davon, jemandes Leben zu retten, obwohl wir selbst uns in Gefahr bringen?
Wenn wir alle diese Fragen stellen - und dass sie sinnvoll sind, werden die meisten Menschen wohl bejahen -, dann treten wir von der Moral in den Bereich der Ethik über. Moral bestimmt, was gut ist und was schlecht, und was wir zu tun haben. Moralische Prinzipien stellen Gebote dar, hinter denen ein Gebieter stehen muss, sagte der australische Philosoph John Leslie Mackie. Und manchmal stehen sie dem entgegen, was Gesetz, Staat, Freunde, Kirche oder Gesellschaft oder die ganze Welt von uns fordert. Damit wir ihnen folgen, müssen wir an die Existenz einer höheren Autorität glauben, und daran, dass uns dieses Wesen belohnen und bestrafen kann.
Ist das Gewissen ein Hinweis auf den Einfluss eines höheren Wesens, das objektive Werte und moralische Verpflichtungen in die Welt gebracht hat? Dahinter stecken, so Mackie, vielmehr die verinnerlichten Forderungen anderer Menschen: Gebote der Eltern, der nächsten Freunde, der Traditionen und Institutionen der Gesellschaft, in der der einzelne aufgewachsen ist, oder desjenigen Teils der Gesellschaft, der ihn am meisten geprägt hat. (Und deshalb gibt es sehr verschiedene Stimmen des Gewissens - je nach Religion.)

Ethik fragt danach, was richtig ist und was falsch - und akzeptiert die Existenz unterschiedlicher Bedingungen. Um ethisch zu handeln, brauchen wir unseren Verstand, Wissen darüber, was in der Kultur für angemessen und erwünscht gehalten wird, und die Fähigkeit der Empathie. Aus bestimmten Gründen ist es so, dass innerhalb der menschlichen Gesellschaften und innerhalb dieser wieder in verschiedenen Gruppen - Familien, Freunde, der Fußballverein - der Anspruch erhoben wird, anderen, insbesondere Gruppenmitgliedern, möglichst wenig zu schaden und die Lebensqualität aller zu erhöhen. Wir lernen, was ein Schaden ist und was ihn verursacht und wie wir ihn vermeiden können. Kooperation hilft allen und damit dem einzelnen. In einer Gruppe, in der alle allen helfen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass mir selbst ebenfalls geholfen wird, höher als in einer Gruppe von Individuen, die dazu nicht in der Lage sind. Wenn ich meinen Nächsten liebe wie mich selbst, und mein Nächster liebt mich wie sich, dann geht es allen besser. Eine Anlage für ein solches Verhalten könnte sich in einer Art mit sozialen Gruppen, insbesondere Gruppen, in denen viele Individuen eng miteinander verwandt sind, in der Evolution durchgesetzt haben. Auch die Vorstellung eines egoistischen Gens widerspricht dem nicht, denn egoistische Gene führen nicht zu egoistischem Verhalten, wie der britische Evolutionsbiologie Richard Dawkins von der University of Oxford erklärt hat. Verwandten zu helfen ist ein Verhalten, dass die Wahrscheinlichkeit der Vermehrung der identischen Gene erhöht, wenn auch nicht so stark wie die Produktion von eigenem Nachwuchs. Gene, die dieses Verhalten hervorrufen, können zu einem Selektionsvorteil führen. Ihre Häufigkeit kann so stark im Genpool zunehmen, dass Altruismus gegenüber Verwandten der Normalfall wird. Biologen sprechen hier von Kin Selection (Verwandtenselektion). Eine andere Form des Altruismus ist der reziproke Altruismus: Handeln die Individuen in einer Gruppe nach dem Motto: „Wie du mir, so ich dir“, stellt sich ein Zustand ein, in dem die meisten sich gegenseitig helfen. Es gibt abweichende Individuen, doch wer Gutes nicht mit Gutem vergilt und betrügt, wird von den anderen bald gemieden und sogar bestraft. Vielleicht steckt in den Vorteilen der Kooperation auch die Entstehung der Idee von Göttern? Wer einen Egoisten und Betrüger bestraft, verwendet darauf Energie, die der Gruppe dient. Aber er könnte sich fragen, wieso gerade er das tun sollte. Möglicherweise konnte dieses Problem gelöst werden, in dem das Drohen mit Strafe ausgelagert wurde - dafür wären dann die Götter zuständig.Wenn die Angehörigen einer Gruppe an einen strafenden Gott glauben und sich den Normen entsprechend verhalten, so vermutet der Soziobiologe Eckart Voland von der Universität Gießen, dann könnte die Gruppe stark genug sein, um sich gegenüber anderen Gruppen durchzusetzen, die diesen Grad an Kooperationsbereitschaft nicht erreicht haben. Das wäre ein sich selbst verstärkender Effekt.

Dazu kommt der indirekte Vorteil eines „guten Rufes“. Wer als freundlich und großzügig gilt - jedenfalls in einem gewissen Rahmen -, auf den reagiert man unbewusst positiv und lässt sich lieber mit ihm ein als mit jemandem, der unfreundlich oder sogar betrügerisch wirkt. Auch demonstriert Großzügigkeit die eigene Leistungsfähigkeit (ich kann mir Großzügigkeit leisten) und den materiellen Wert, über den man verfügt. Das wirkt attraktiv auf potentielle Partner - seien es Fortpflanzungspartner oder Menschen, mit denen eine Kooperation zu einer Win-Win-Situation führen soll.

Eine Rolle spielt hier auch die Bereitschaft, für die Gruppe Kosten aufzuwenden. Wer das tut - und sei es nur, in dem er in Symbole investiert, die die Gruppenzugehörigkeit signalisieren - demonstriert Solidarität, Verlässlichkeit und die Übernahme von Verpflichtungen. Auch aufwendige Rituale kosten etwas - nämlich Lebenszeit und -kraft. Und in gemeinsamen Ritualen demonstrieren sich die Gruppenmitglieder gegenseitig die Bedeutung, die die Gruppe hat, was ebenfalls Verlässlichkeit signalisiert. Und wer bereit ist, viel auf sich zu nehmen, um in eine Gruppe aufgenommen zu werden, von dem kann die Gruppe auch annehmen, dass es ihm mit seinem Anliegen ernst ist und dass man ihm vertrauen kann.

Vereine, Fanclubs, Gemeinden, Pfadfinder, Sekten, Parteien, Umweltschutzgruppen, Völker und Nationen ... wir finden uns heute nicht mehr in Gruppen wieder, die vor allem aus Verwandten bestehen. Die Evolution hat uns jedoch Anlagen für bestimme soziale Verhaltensweisen in die Wiege gelegt - nicht jedoch die Anlagen für eine bewusste Wahrnehmung von Vorteilen für unsere Gene. Wir halten uns heute noch an „Faustregeln“, die in der Vergangenheit zu einer Vermehrung unseres Erbguts geführt haben. In der Gegenwart sind die Umstände anders als früher, so dass unsere Verhaltensweisen manchmal sogar das Gegenteil von dem „genetisch“ erwünschten Ziel bewirken. So lassen sich Gefühle wie Mitleid erklären, das sich vermutlich früher aufgrund der Umstände vor allem auf Verwandte erstreckt hat. So lässt sich auch Sozialverhalten wie die Adoption von Kindern oder freiwillige Ehelosigkeit erklären. Selbst für anonyme Wohltaten bieten Verhaltensforscher Erklärungen an. So könnte es sein, dass es für Eltern in einer Gruppe gut ist, Kinder so zu erziehen, dass sie bereit sind, für die Gruppe - und damit letztlich auch für sie - etwas (auch als anonyme Spenden) oder sogar sich selbst zu opfern, etwa als Krieger. Stirbt ein Kind im Kampf, so ist dies schmerzlich, aber für die Weitergabe der Gene insgesamt immer noch besser, als wenn der Krieg verloren geht und die Eltern selbst vernichtet werden. Hier nicht in die Gruppe zu investieren, wäre auf lange Sicht ein Nachteil, vermutet der Soziobiologe Voland. Dafür spricht etwa das Verhalten mancher palästinensischer Eltern von Selbstmordattentätern oder die Akzeptanz westlicher Eltern, ihre Kinder für ihr Land in den Krieg zu schicken.

Für alle diese Annahmen spricht, dass menschliche Moral sich in verschiedenen Kulturen und Religionen stark ähnelt. Je ähnlicher ein Verhalten von Menschen in deutlich unterschiedlichen Kulturen ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich die Anlagen dazu in der Evolution des Menschen entwickelt haben. Und tatsächlich scheint es eine Art ethische Gesetzmäßigkeiten zu geben, eine ethische Grammatik, die die Grundlage für die Variationen der Ethik in den verschiedenen Gesellschaften darstellt. Einige Wissenschaftler vermuten, dass bei Kindern bereits gewisse Konzepte von Gerechtigkeit von Geburt an vorhanden sind, und dass im kindlichen Gehirn bereits Zentren existieren, die auf den Input moralischer Parameter warten, sagt Soziobiologe Voland. Er geht davon aus, dass in einer sensiblen Phase die Regeln übernommen werden, die im sozialen Umfeld herrschen. „Es geht nicht um Lernen. Wir übernehmen unsere Werte offensichtlich nicht im Sinne einer direkten Werteerziehung. Der Ethikunterricht ist nicht die Instanz, die gute Menschen produziert. Die Übernahme von Werten vollzieht sich lange vor der Zeit, in der man sich schließlich mit Kant und dem kategorischen Imperativ beschäftigt oder die Goldene Regel lernt. Menschen, die anderen in der Not geholfen haben, sagen übrigens häufig, sie seien einem Impuls gefolgt.“

Die Religionen selbst schaffen keine Werte, sondern sie interpretieren sie laut Voland nur und schaffen vielleicht Räume, in denen sie zur Geltung kommen sollen. Die Regeln, die in diesen Gesellschaften aufgestellt werden, werden dann in Gesetzesbüchern und Heiligen Schriften festgehalten und häufig auf Götter zurückgeführt, da ihr eigentlicher Ursprung sich unserer direkten Wahrnehmung entzieht. Wenn Religionen aber Werte etablieren wollen, die der menschlichen Natur nicht entsprechen - etwa die Feindesliebe -, müssen sie scheitern.

Es gibt Beispiele, die zeigen, dass bestimmte Situationen Menschen verschiedenster Kulturen vor ein ethisches Dilemma stellen. Dazu gehört etwa die Frage, was man tut, wenn man einen fahrenden, herrenlosen Waggon auf einer Straßenbahnstrecke sieht, auf der sich mehrere Menschen befinden. Lenkt man ihn mit einer Weiche auf ein Nebengleis, wo weniger Menschen gefährdet werden? Die meisten Menschen rechnen die Leben auf und sagen: Ja. Was aber ist, wenn man einen dicken Menschen von einer Brücke schubsen muss, um das gleiche Ziel zu erreichen? Das halten die meisten für falsch. Oder soll man einen Menschen töten, weil man mit seinen Organen fünf anderen das Leben retten kann?

Nachdem tausende Menschen aus aller Welt die zwei Fragen zur Straßenbahn im Internet auf seiner Test-Seite beantwortet haben, ist Marc Hauser, früher an der Harvard University, zu dem Schluss gekommen, dass es das Kantsche Prinzip verletzen würde, den dicken Mann zu schubsen. Doch wir halten uns nicht an das Prinzip, weil es ein moralisches, gar von Gott gegebenes moralisches Absolutum ist, sondern eine Folge der Evolution, so Hauser. Schließlich verhalten sich hier Atheisten und Gläubige gleich. Und der Verhaltensforscher Wolfgang Wickler schrieb bereits 1971: „Ethische Forderungen, die nicht von konkret biologischen Gegebenheiten ausgehen, sind unsinnig.“ (Dass Hauser selbst aufgrund wissenschaftlichen Fehlverhaltens von der Universität beurlaubt wurde, hat mit dem Test nichts zu tun. Die Vorwürfe gegen ihn bezogen sich auf andere Arbeiten und was genau er getan hat, wurde von der Harvard University nie veröffentlicht.)

Moral verfügt also über eine biologische Grundlage. Und manchen Forschern zufolge lässt sich der Ursprung der Moral ins Tierreich zurückverfolgen. So ist etwa der Verhaltensforscher Franz de Waal von der Emory University in Atlanta, USA, nach Versuchen mit Affen der Meinung: Ansprüche wie „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ oder „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ sind auch Affen schon vertraut. Ihm zufolge gibt es Stufen der Moralität, und Affen haben viele dieser Stufen erreicht, aber nicht alle. „Die Bausteine der Moralität, psychologische Mechanismen wie Einfühlung, Gefühlsansteckung, Perspektivübernahme und Verhaltensweisen wie Zusammenarbeit, Teilen und Trösten finden sich auch bei Menschenaffen. In diesen Bausteinen gibt es eine evolutionäre Kontinuität zu den Menschen“, sagte er der Zeitschrift „Die Zeit“ 2003. Affen verhalten sich also moralisch, obwohl sie wohl keine Religion oder ein religiöses Weltbild besitzen.
Ich bin überzeugt davon, dass Ludwig Feuerbach (1804 - 1872) Recht hatte, als er 1841 in „Das Wesen des Christentums“ schrieb: „Gott als moralisch vollkommenes Wesen ist aber nichts andres als die realisierte Idee, das personifizierte Gesetz der Moralität, das als absolutes Wesen gesetzte moralische Wesen des Menschen - des Menschen eigenes Wesen; denn der moralische Gott selbst stellt die Forderung an den Menschen, zu sein, wie Er selbst ist: ‘Heilig ist Gott, ihr sollt heilig sein, wie Gott’, - des Menschen eigenes Gewissen, denn wie könnte er sonst vor dem göttlichen Wesen erzittern, vor ihm sich anklagen, wie es zum Richter seiner innersten Gedanken und Gesinnungen machen?“

Hitler und Stalin - Böse Atheisten an der Macht?
Die Mehrzahl der Gefolgsleute Hitlers und Stalins waren Produkte der christlichen Erziehung. Hitler konnte lange auf die Unterstützung der Kirchen setzen, und Stalin war auf einer Jesuitenschule. Die Wehrmachtsgeneräle, die den Russlandfeldzug organisiert und durchgeführt haben - waren das alles Atheisten? Die Soldaten und Polizisten, die hinter der Front die Juden zu Tausenden massakriert haben - alles Atheisten? Selbst wenn Hitler und Stalin Atheisten waren - und so eindeutig ist das im Falle von Hitler nicht, der ständig von der Vorsehung und dem Schicksal und der Bestimmung gefaselt hat - haben sie ihre Verbrechen nicht verübt, WEIL sie Atheisten waren. Und sollte man tatsächlich aufrechnen, wie viele Verbrechen gegen die Menschheit und die Menschlichkeit von mehr oder weniger überzeugten Gläubigen verübt wurden, und wie viele von überzeugten Atheisten? Wer waren die gläubigsten Menschen an Bord der Flugzeuge vom 11. September 2001? Wer war wohl der überzeugteste Gläubige am Ort des Geschehens, als in Wichita 2009 der Abtreibungsarzt George Tiller auf dem Weg zum Gottesdienst im Eingang seiner Kirche von einem fundamentalen Abtreibungsgegner erschossen wurde?

Wissenschaftler als Fundamentalisten?
Atheisten oder Agnostikern wie dem Evolutionsbiologen Richard Dawkins wird häufig vorgeworfen, sie seien in ihrer konsequenten Ablehnung von Religion und Gottesglauben genauso verbohrt wie etwa bibeltreue Evangelikale. Dawkins selbst hat in seinem Buch „Gotteswahn“ erklärt, wieso solche Vergleiche nicht zutreffen. Fundamentalisten sind dadurch charakterisiert, dass sie einfach wissen, dass sie Recht haben, etwa weil sie in einem Buch, das sie für heilig halten, etwas gelesen haben, das sie für die Wahrheit halten. Und manche haben Erfahrungen gemacht, die sie in diesem Glauben bestätigen. Wenn Erfahrungen und Belege aber ihrem Glauben widersprechen, dann werden diese abgelehnt. So lehrt der Papst zum Beispiel in Anlehnung an die Kirchenväter, dass man glauben muss, um zu verstehen. Das bedeutet, man muss glauben, BEVOR man versteht. Wenn Wissenschaftler an etwas glauben - etwa die Evolution -, dann beanspruchen sie kein Wissen, sondern sie glauben aufgrund von Belegen, die sich überprüfen lassen und in sich schlüssig sein sollten, dass etwas auf bestimmte Weise zu sein scheint. Davon geht man aus, bis man eines Besseren belehrt wird. An Bücher über Evolution, so Dawkins, glaubt man nicht, weil sie heilig sind, sondern weil eine Fülle von Belegen darin aufgeführt werden, die sich gegenseitig auch noch stützen. Und jeder kann den Weg der Wissenschaftler zurückverfolgen und die Belege selbst prüfen. Und was ist mit dem Glauben an Belege? „Wenn ich sage, die Evolution sei wahr, dann bin ich nicht fundamentalistischer, als wenn ich behaupte, dass Neuseeland auf der Südhalbkugel der Erde liegt.“ Die Biologen würden die Evolutionstheorie von heute auf morgen aufgeben, wenn sie durch neue Belege widerlegt würden. Und „als Naturwissenschaftler steht man dem Fundamentalismus feindselig gegenüber, weil dieser das Unternehmen Wissenschaft aktiv torpediert. Er lehrt uns, unsere Meinung nicht zu ändern und kein Interesse an spannenden Dingen zu haben, die man durchaus in Erfahrung bringen könnte. Fundamentalismus untergräbt die Wissenschaft und schwächt den Verstand.“

Die Katholische Kirche und die Evolution
Papst Johannes Paul II. erklärte in einer Botschaft an die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften anlässlich ihrer Vollversammlung am 22. Oktober 1996, dass die Evolution eine Theorie sei, und nicht nur, wie es noch Pius XII. gesagt hatte, eine Hypothese. „Genau genommen muss man eher von Evolutionstheorien sprechen als von der Theorie der Evolution“, sagte Johannes Paul II. Diese Vielfalt entspreche einerseits den unterschiedlichen Ansätzen, die vorgeschlagen wurden, um den Mechanismus der Evolution zu erklären. Andererseits entspreche sie der Unterschiedlichkeit der Weltanschauungen, auf die man sich bezieht. „So gibt es materialistisch-reduktionistische Lesarten und auch spiritualistische Lesarten der Evolutionstheorie. Das Urteil darüber gehört in die Kompetenz der Philosophie und darüber hinaus der Theologie.“
Pius XII. hatte in seiner Enzyklika „Humani generis“ 1950 festgestellt: „Aus diesem Grund verbietet das Lehramt der Kirche nicht, dass in Übereinstimmung mit dem augenblicklichen Stand der menschlichen Wissenschaften und der Theologie die Entwicklungslehre Gegenstand der Untersuchungen und Besprechungen der Fachleute beider Gebiete sei, insoweit sie Forschungen anstellt über den Ursprung des menschlichen Körpers aus einer bereits bestehenden, lebenden Materie, während der katholische Glaube uns verpflichtet, daran festzuhalten, dass die Seelen unmittelbar von Gott geschaffen sind.“
Für Johannes Paul II. galt das ebenfalls, und er stellte fest: „Folglich sind diejenigen Evolutionstheorien nicht mit der Wahrheit über den Menschen vereinbar, die - angeleitet von der dahinter stehenden Weltanschauung - den Geist für eine Ausformung der Kräfte der belebten Materie oder für ein bloßes Epiphänomen dieser Materie halten.“ Die Weltanschauungen, die dem Papst nicht passten, waren natürlich die materialistisch-reduktionistischen, auch wenn Biologen nicht vor dem Hintergrund einer Weltanschauung forschen und sich über die Evolutionstheorie im Prinzip einig sind. Unklarheit gibt es über einzelne Mechanismen der Evolution.
Aber der Papst wusste noch mehr: „Die Berücksichtigung der in den verschiedenen Ordnungen des Wissens verwendeten Methode erlaubt uns, zwei Standpunkte, die unvereinbar scheinen, miteinander in Einklang zu bringen. Die empirischen Wissenschaften beschreiben und messen mit immer größerer Genauigkeit die vielfältigen Ausdrucksformen des Lebens und schreiben sie auf der Zeitachse fest. Der Moment des Übergangs ins Geistige ist nicht Gegenstand einer solchen Beobachtung, die aber dennoch auf experimenteller Ebene einer Reihe wertvoller Hinweise über das Besondere am Wesen des Menschen zutage fördern kann. Aber die Erfahrung des metaphysischen Wissens, des Bewusstseins seiner selbst und der eigenen Fähigkeit zur Reflexion, die Erfahrung des sittlichen Gewissens und der Freiheit oder auch die ästhetische und religiöse Erfahrung gehören in den Bereich der philosophischen Überlegungen, während die Theologie deren letztendlichen Sinn nach dem Plan des Schöpfers herausstellt.“
Papst Benedikt XVI. hat auf der Tagung „Schöpfung und Evolution“ in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo 2006, auf der sich Naturwissenschaftler, Philosophen und Theologen trafen, erklärt, es sei nicht vorstellbar, dass das Unvernünftige einen mathematisch geordneten Kosmos und den Menschen und seine Vernunft hervorbringe. Er forderte, wir sollten erkennen, dass die Vernunft allem vorangeht - die göttliche Vernunft eines Schöpfers, der das Dasein des Menschen gewollt habe. (Nachzulesen im gleichnamigen Buch zur Tagung von Stephan Otto Horn und Siegfried Wiedenhofer.)
Es bleibt also dabei, dass die katholische Kirche offiziell zwar die Evolutionstheorie anerkennt, aber daran glaubt, dass es einen Zeitpunkt gab, zu dem der Schöpfer dem Menschen - welchem eigentlich? - Geist einhauchte und damit gewissermaßen Adam schuf.

Das Ungeheuer von der schwarzen Lagune
Titel eines Filmes von Jack Arnold aus dem Jahre 1954 („Der Schrecken vom Amazonas“, im Original „Creature from the Black Lagoon“). In dem Film findet ein Geologe am Amazonas eine versteinerte Hand mit Merkmalen, die auf eine Mischung aus Wasser- und Landlebewesen hindeuten. Eine Expedition soll der Sache nachgehen und wird von einem Kiemenmenschen angegriffen, offenbar eine Art lebendes Fossil.

 

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